31. Januar 2017 · Kommentare deaktiviert für Sonnendurchflutet · Kategorien: Online-News

Autorenlesung von Gisela Loos über ihre Flucht aus Schlesien

Das Thema Flucht ist in Deutschland bei weitem nicht Schnee von gestern, gerade im Moment ist es allgegenwärtig und wird überall kontrovers diskutiert. Auch an unserer Schule werden derzeit viele Flüchtlinge unterrichtet und wir versuchen sie in unsere Klassen und die Schulgemeinschaft zu integrieren, was manchmal nicht ganz leicht ist. Dies war für unseren Rektor Thomas Schneider ein guter Anlass, eine Autorin aus seinem Bekanntenkreis an unsere Schule einzuladen, die aus erster Hand von Flucht, Neuanfang und den damit verbundenen Schwierigkeiten erzählen kann.

Gisela Loos, Jahrgang 1933, erzählte heute in der Klassenstufe 10 von ihrer Flucht aus Schlesien. Sie war damals 11 Jahre alt. Der freundlichen älteren Dame sieht man ihr Schicksal nicht an. Sie hat drei Kinder und drei Enkelkinder, denen sie schon oft von damals erzählt hat, bevor sie sich entschlossen hat, ein Buch darüber zu schreiben, „damit die Dinge nicht verloren gehen“, wie sie sagt. Mitten in einer kalten Nacht im Januar 1945 sei sie von ihrer Mutter aufgeweckt worden. Sie solle aufstehen und sich warm anziehen, die „Russen kämen“. Von der geplanten Flucht hatte sie nichts mitbekommen. Der Vater, ein angesehener Geschäftsmann in Saarau, musste zurückbleiben: „Sei lieb zu Mutti, ihr müsst weg, es nützt ja nichts“, war alles was er zum Abschied sagen konnte, bevor man sie auf den LKW verlud. Ihre Mutter weinte und sie hatte Angst um ihre Wellensittiche, die sie nicht mitnehmen konnte. Auch alle ihre Bücher und ihr gesamtes Spielzeug musste sie zurücklassen. Sie wollten zu Verwandten nach Erfurt, landeten aber zunächst bei Geschäftsfreunden in Niederau bei Radebeul. Von der Ostfront drohte die Gefahr von russischen Soldaten. Ab Februar 1945 drohte dann auch noch Gefahr von den „Amis“, die mit Flugzeugen Dresden in Schutt und Asche legten. An viel kann Frau Loos sich nicht mehr erinnern. Gerade alltägliche Dinge wie: „Wo haben wir eingekauft, was haben wir gegessen, wo haben wir gekocht“, sind ihr entfallen. Aber der Gefechtslärm, das Brummen der Flugzeugstafeln, die Angst, die Kälte und der Schmutz sind tief in ihrem Inneren verwurzelt. Im April 1945 sollte es weiter nach Klingenthal gehen. Doch da die Feldjäger die Straßen für die Militär-LKWs freiräumten, mussten die Flüchtlinge auf Nebenstrecken und Waldwege ausweichen. Plötzlich war die Familie in Tschechien gelandet – eine brandgefährliche Situation, wie sich Frau Loos erinnert, denn die Tschechen wollten sich an den „Nazis“ rächen. Immer musste sie leise sein, immer war die Angst vor Entdeckung da.

Über Klingenthal kam die Familie im Juni 1945 endlich bei den Verwandten in Erfurt an. Es war ein schwieriger Schulstart. Sie musste eine Klasse wiederholen, alles war weg. Ab Sommer 1945 wurde langsam alles wieder aufgebaut. Deutschland wurde unter den Siegermächten aufgeteilt, Reparationszahlungen erfolgten. Schlesien wurde auf der Jalta-Konferenz den Polen zugesprochen, eine Rückkehr in die Heimat damit unmöglich. Bis Juli 1948 blieb die Familie in Erfurt. Gisela Loos fühlte sich wohl hier, Erfurt war eine schöne alte Stadt und sie hatte sich gut eingelebt. Doch dann kam der Schock! Weil der Vater eine Stelle in Mannheim angeboten bekam, floh die Familie in den Westsektor. Ein Bauer schleuste die Familie über die Felder in den Westen. Zuerst die Eltern, dann Gisela selbst, es ging einfach nicht anders. Wieder wurde sie allein gelassen mit der quälenden Angst vor Entdeckung und der Sorge, ob sie wirklich abgeholt werden würde und ihre Eltern wiedersehen würde. Als die Familie dann endlich gemeinsam in Mannheim angekommen war, fing alles von vorne an: wieder eine neue Schule, wieder fremde Kinder, wieder keine Freunde, wieder ein anderer Dialekt, wieder ein schwieriger Neustart.

Dann war die Zeit leider schon um und alle Schüler/-innen waren sich einig, dass sie noch viel mehr über ihr Leben in Mannheim erfahren hätten und gerne noch viele Fragen gestellt hätten. Josef aus der 10a hat sich wie auf einer Zeitreise gefühlt, so dass er sich die Flucht gut im Kopf vorstellen konnte: „Das war eine wahre Geschichte, die sich wie der Inhalt von einem Film angehört hat. Wenn eine Person ein Erlebnis erzählt ist es ganz anders wie wenn man einen Film sieht oder ein Buch liest.“ Und alle waren beeindruckt, dass Frau Loos trotz ihrer Erlebnisse noch so lebensfroh und offen ist und stets ein Lächeln auf dem Gesicht trug. (Quelle: WRS Unterer Neckar, Online-Redaktion)

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